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Wie wird sich die Arbeit von Elektroingenieuren künftig verändern und wie zukunftssicher ist der Beruf? Wir fragten nach bei Personalberater Thomas Hegger, Leiter des VDE-Ausschuss Beruf, Gesellschaft und Technik.
Herr Hegger, Anfang Juni hatte der Spiegel eine längere Geschichte im Heft, wonach der Mythos des deutschen Ingenieurs in Gefahr sei: Abgas-Skandale, BER-Dilemma, schleppende Digitalisierung. Kritiker sagen, das Verständnis fürs Digitale und das Denken in digitalen Geschäftsmodellen – Stichworte KI, Blockchain – spiele keine große Rolle im Curriculum von Ingenieuren. Ist da was dran? Und: betrifft das auch die Elektronik und Elektrotechnik?
Thomas Hegger: Mein Eindruck war, dass der Spiegel-Artikel eher auf den Maschinenbau-Ingenieur fokussiert hatte. Und dieser hat im Curriculum im Gegensatz zu Elektronik und Informationstechnik kaum Berührungspunkte zur Digitaltechnik, die wiederum mit zu den Grundlagen in der Elektrotechnik gehört. Es ist richtig, dass das Denken in Geschäftsmodellen nicht Bestandteil der Ingenieur-Studiengänge ist, auch nicht der Elektrotechnik. Das Ziel der Hochschulausbildung ist das Beherrschen der in unserem Falle elektrotechnischen Grundlagen und der Methoden, sich zügig und systematisch in neue Themengebiete einzuarbeiten. Wozu auch digitale Geschäftsmodelle gehören können. Gerade diese Fähigkeit, sich systematisch in neue Gebiete auf einem wissenschaftlichen Niveau einzuarbeiten, wird von Unternehmen an der deutschen Ingenieurausbildung geschätzt.
Laut Bitkom kommt kein Beruf mehr ohne Digitalkompetenz aus. Wie wird sich Ingenieursarbeit durch Digitalisierung verändern? Wie werden Ingenieure in zehn Jahren arbeiten?
Es wird fast kein Berufsbild geben, welches sich nicht durch die Digitalisierung verändert. Die Ingenieursarbeit ist sehr vielfältig und hat immer schon einem Wandel unterlegen. Die Elektroingenieure sind neben den Informatikern die Gestalter und Treiber der Digitalisierung. Die Berufsbilder der Ingenieure werden sich ändern; wie diese sich ändern werden, ist schwer vorhersehbar. Ich bin aber sicher: Aufgrund der breiten Hochschulausbildung haben und werden sich die Elektroingenieure auf die zukünftigen Bedingungen am Arbeitsmarkt einzustellen wissen.
Sind die Lehrpläne in E-Technik also auf der Höhe der Zeit?
Die Frage wird zyklisch immer wieder gestellt. Wichtig aus Sicht des VDE ist die breite Grundlagenausbildung in der Elektrotechnik und Vermittlung des Methodenwissens; hier müssen die Lehrpläne auf der Höhe der Zeit sein.
Die Frage an Sie als Personalberater gestellt: Entsprechen die Kenntnisse der Kandidaten der Nachfrage am Arbeitsmarkt?
Die Frage ist nicht so einfach zu beantworten. Die Besetzungen scheitern weniger an den fachlichen Kenntnissen, sondern daran, dass wir seit Jahren zu wenig Elektroingenieure ausbilden, die Wechselbereitschaft in den letzten Jahren abgenommen hat, die Mobilität abgenommen hat. Heute winken Kandidaten ja schon ab, wenn der potenzielle Arbeitgeber nicht auf der gewünschten U-Bahn-Linie liegt. So sind Unternehmen heute teilweise schon glücklich, wenn Kandidaten und Bewerber zu 70 Prozent mit dem Anforderungsprofil übereinstimmen. Was ihnen aber noch viel wichtiger ist, ist die Persönlichkeit der Kandidaten. Denn fachliche Defizite kann man durch Schulungen und Weiterbildungen ausgleichen, das gilt sowohl in der Entwicklung als auch im Vertrieb.
Mein Eindruck geht etwas in die Richtung, dass die Unternehmen noch genauer auf die Persönlichkeit bei Einstellungen hinschauen, um das Risiko einer Fehlbesetzung zu minimieren. Denn wenn sich herausstellt, dass der neue Mitarbeiter – unabhängig von seiner fachlichen Kompetenz – nicht ins Team hineinpasst, muss wieder gesucht werden. Und das in einem zunehmend schwieriger werdenden Umfeld für die Arbeitgeber, was wiederum mit Aufwand, Zeit und Kosten verbunden ist.
Kollidiert deutsche Ingenieurskultur mit amerikanisch geprägter IT-Entwicklung, die uns Schlagworte wie Beta-Versionen, Scrum und Design-Thinking gebracht hat?
Aus meiner Sicht nicht, die Ingenieurausbildung ist weltweit sehr geschätzt, auch in den USA. Elektroingenieure setzen agile Entwicklungsmethoden sehr erfolgreich ein; wir machen uns zu oft kleiner, als wir sind, das gilt auch für den deutschen Mittelstand und unsere Hidden Champions. Die Ingenieurskultur in den USA besteht nicht nur aus dem Silicon Valley, wo viele deutsche (Elektro-)Ingenieure arbeiten, auf das alle schauen, das aber nicht repräsentativ für die USA ist.
Künstliche Intelligenz, Plattform-Ökonomie, autonomes Fahren, Digitalisierung: Werden Informatiker statt Ingenieure künftig den Arbeitsmarkt dominieren? Wie stellt man sich heute als Arbeitnehmer darauf ein?
Die Frage wird immer wieder gestellt, da häufig die Vorstellung dominiert, dass nur Informatiker Software entwickeln und Elektroingenieure nicht. Dabei ist die Informatik und Software-Entwicklung schon seit Jahrzehnten Bestandteil der Lehrpläne in den Elektrotechnik-Studiengängen. Gerade in Bereichen wie autonomes Fahren oder digitale Fabrik, wo auch künstliche Intelligenz mit hineinspielt, ist Systemverständnis eine ganz wichtige Anforderung und bei der Entwicklung von technischen Systemen eminent wichtig. Wir hören aus der Industrie, dass die Elektroingenieure die Informatiker wieder verdrängen, da den Informatikern dieses Verständnis für technische Systeme fehlt, im Gegensatz zu den E-Technikern, die dieses technisches Systemverständnis im Elektrotechnik-Studium als wesentlichen Aspekt gelehrt bekommen.
Investieren Arbeitgeber genug in die Weiterbildung ihrer älteren Ingenieure, damit diese auf der Höhe der Zeit bleiben?
Arbeitgeber werden immer mehr in die Weiterbildung ihrer älteren Ingenieure investieren müssen, um diese möglichst lange im Unternehmen zu halten. Uns fehlen in den kommenden Jahren pro Jahr zwischen 3000 und 4000 Absolventen in der Elektrotechnik, um die demografiebedingten Lücken in den Unternehmen zu schließen. Ziel der Unternehmen kann und sollte es daher sein, ältere Ingenieure möglichst lange im Unternehmen zu halten, um die Lücke möglichst gering zu halten. Und das kann gelingen, indem die Unternehmen ältere Ingenieure motivieren, länger zu bleiben. In Konsequenz bedeutet das, dass in die Weiterbildung älterer Elektroingenieure investiert werden muss.
Brauchen wir Studiengänge für Industrie 4.0? Wie viel Spezialisierung ist sinnvoll im Zeitalter immer komplexer werdender Projekte und Projektarbeit, wie viel Generalisierung ist nötig?
Wichtig ist eine gute und breite Basis. Studiengänge, die sich vom ersten Semester an auf ein Thema konzentrieren, erachten wir vom VDE als nicht sinnvoll, weil dort nie gelernt wird, über den Tellerrand hinauszuschauen. Die Grundlagen für das breite Thema Industrie 4.0 bzw. Digitalisierung werden im Elektrotechnik-Studium gelegt. All das, was benötigt wird, ist Bestandteil der Studiengänge: Programmierung, technisches Verständnis, Systemverständnis etc.
Im Bachelor sollte die Spezialisierung erst möglichst spät erfolgen, dort erarbeiten sich die Studenten ihr Grundlagenwissen in der Elektrotechnik und die Methoden, sich in neue Themen systematisch einzuarbeiten. Die Spezialisierung erfolgt später ‚on the Job‘ bzw. im Masterstudium oder durch gezielte Weiterbildungen. Das Masterstudium dient dazu, sich auf ein Thema zu fokussieren und sich Detailwissen anzueignen.
Wird Deutschland weiterhin vorne mitspielen? Thomas Sattelberger forderte gerade leidenschaftlich eine Bundes-Innovationsagentur. Haben wir genug Angebot an den Hochschulen zu Innovation und Gründertum?
Uns beschäftigt die Frage zu Innovation und Gründertum im VDE-Ausschuss „Studium, Beruf und Gesellschaft“ regelmäßig. Was wir dabei immer wieder feststellen, ist, dass die Angebote an den Hochschulen vorhanden sind. Die entscheidende Frage ist, wie wird es gelebt, werden die Angebote an die Studierenden weitergegeben, ist es unter den Studierenden bekannt, welche Programme es für Gründer gibt und wo sie sich dazu informieren können. Ganz wichtig dabei ist die Frage, ob ein „Gründerklima“ an der jeweiligen Hochschule herrscht, denn Gründer ziehen Gründer an, das zeigt das Beispiel Silicon Valley.
Viele innovative Gründer scheitern an der Finanzierung, obwohl es genügend Töpfe gibt; diese scheinen oftmals nicht bekannt zu sein. Hinzu kommt, dass der Anteil der selbstständigen Ingenieure in den letzten Jahren abgenommen hat; ein Grund dafür ist die sehr gute Arbeitsmarktlage. Absolventen haben ja oftmals schon vor Abgabe ihrer Abschlussarbeiten lukrative Arbeitsverträge in der Tasche. Damit entscheiden sie sich mehrheitlich gegen das Gründen und für die „sichere“ Anstellung.
Den Ingenieuren ist in den letzten Jahrzehnten die Gründungskultur abhandengekommen und es gibt zu wenig Positiv-Beispiele, die in der Öffentlichkeit bekannt sind. Ich verweise hier mal auf die Kategorie „Pioniere&Innovatoren“ bei den Markt&Technik-„Managern des Jahres“: Wer kennt die ausgezeichneten Gründer außerhalb der Branche und Ortschaft der Unternehmenssitze?
Die Fragen stellte Corinne Schindlbeck.
Quelle: Markt&Technik, Nr.27/2018 (Die Zukunft der Ingenieursarbeit »Elektroingenieure verdrängen Informatiker wieder«)